The European Balcony Project 2018

23. Februar 2019
Von Marie Rosenkranz

Am 10. November 2018, zeitgleich um 16 Uhr, wurde von über 200 Theater(balkonen) und auf öffentlichen Plätzen in Europa die Europäische Republik ausgerufen. Dazu wurde ein in 33 Sprachen übersetztes Manifest von Ulrike Guérot, Robert Menasse und Milo Rau verlesen. Neben den Ausrufungen an großen Theatern wie dem NT Gent, dem Burgtheater in Wien und dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg organisierten Bürger*Innen vielfältige Aktionen, etwa eine Ausrufung am Gate des Brüsseler Flughafens, auf einer Fußgängerrücke zwischen Deutschland und Frankreich, von einem Plattenbau in Chemnitz und am Strand auf der italienischen Insel Lampedusa. Die Kulturinstitutionen und Bürger*innengruppen fanden ihre jeweils eigene Form, die Proklamation zu inszenieren und das Manifest im Anschluss zur – bisweilen kritischen – Diskussion zu stellen. An einem historischen Datum wurde so laut- und bildstark ein demokratisches, geeintes Europa eingefordert und ein konkreter Zukunftsentwurf vorgestellt und weitergedacht. Das europäische Motto „Unity in Diversity“ beschreibt die Dynamik dieses dezentralen und partizipativen Projekts, das zum Ziel hatte, im Vorfeld der Europawahlen im Mai 2019 eine breite Diskussion über Europäische Demokratie anzuregen.

Städte und Europa als politische Bezugsgrößen

Was aber bedeutet die Europäische Republik, die für einen Moment im Raum und zur Diskussion stand genau? Welches Verständnis von Bürgerschaft liegt ihr zugrunde? Die zentrale Forderung des Manifests ist eine einheitliche Europäische Demokratie – eine Demokratie jenseits der Nationalstaaten mit starken Städten und Regionen. Bürger*innen der Europäischen Republik zu sein würde bedeuten, nicht nur einen Europäischen Markt und eine Währung zu teilen, sondern auch in einer gemeinsamen Europäischen Demokratie zu leben, das bedeutet, die gleichen sozialen und politischen Rechte zu haben. Die Europäische Republik bedeutet eine gemeinsame Bürgerschaft für Europäer*innen, die über das aktuelle Konstrukt einer nationalen Staatsbürgerschaft und einer gemeinsamen Unionsbürgerschaft „on top“ hinausgeht.

Gleichzeitig denkt dieser Entwurf auch den weitverbreiteten Wunsch nach politischen „Wurzeln“ mit. Hinter der Idee der Städte und Regionen als konstitutionelle Träger*innen der Europäischen Republik verbirgt sich institutionell die Idee eines Senats, in dem VertreterInnen der Regionen und Städte zusammenkommen und so eine direkte Verbindung und Nähe zwischen BürgerInnen und der Europäischen Ebene schaffen. So soll auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Politik auf der Ebene der Städte und Regionen in besonderem Maße greif- und erfahrbar ist und die oder den Einzelnen direkt betrifft. Es ist auch oft auf der lokalen Ebene, wo die ersten und am nachhaltigsten politisierenden Erfahrungen der Mitbestimmung gemacht werden. Gleichzeitig ist der oder die Einzelne heute vor allem durch globale und europäische Politik betroffen. Klimawandel, Migration, Handelspolitik – dies sind nur Beispiele für die zahlreichen Themen, für die es Lösungen auf einer europäischen und globalen Ebene bedarf und deren Auswirkungen sich ganz konkret und lokal spüren lassen.

Der Nationalstaat steht, so zeigen es mehrere Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit, einer für das Gemeinwohl besten Lösung leider oft im Wege. Im Manifest des European Balcony Project wird deshalb auch der Europäische Rat, in dem die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten vertreten sind und der die durch das Parlament vertretenen Stimmen der Bürger*innen oft überhört, zugunsten der gesetzgeberischen Gewalt des Europäischen Parlaments abgesetzt.

Vom Diskussionsangebot zur realen Politik

Die Idee der Europäischen Republik ist ein Diskussionsangebot, dass die festgefahrene und problembehaftete Debatte um Europa um einen Zukunftsentwurf erweitern soll. Ähnlich wie im Kunstprojekt des chilenischen Künstlers Alfredo Jaar, der in seinem Projekt „Konsthall Skoghall“ einmal eine Kunsthalle aus Papier aufbaute und nach wenigen Wochen Programm wieder niederbrannte – bevor die Bürger*innen selbst ein „echtes“ Museum errichteten –, kann daraus aber eine reale Zukunft werden. Sie muss dazu aber von Vielen gedacht und eingefordert werden!

Dieser Beitrag wird in ganzer Länge in Kürze im engagée-journal veröffentlich.

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